Die Kardeiz Sage und das Kaspar Hauser -
Schicksal der Anthroposophischen Gesellschaft:

Wird die Weihnachtstagung / Mitglieder-Versammlung 2002 das verduftete Wesen Anthroposophia auf die Erde zurückrufen können?


Diese 2. Nummer des Willehalm Nachrichtenblattes ist dem Versuch der am 28. und 29. Dezember am Goetheanum in Dornach stattfindenden, ersten außerordentlichen Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft gewidmet, und enthält alle von mir an diese Versammlung gestellte Anliegen und Anträge mit Begründungen, die fristgemäss beim Dornacher Vorstandssekretariat im Goetheanum, kurz vor 18.00 Uhr, am Freitag, dem 20. Dezember eingereicht wurden. Ferner ist hier der im amtlichen Wochenblatt für das Birseck und Dorneck am 19. Dezember erschienene Artikel „Spannende Generalversammlung am Goetheanum“ von Hans Hasler zu lesen, dem ehemaligen Chef der 3. Unterabteilung des Vereins Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft, der Administration des Goetheanumbaus, der heute dort im Finanzwesen tätig ist. Dieser Artikel war eine Art Erwiderung auf meinen Artikel über die kommende Mitgliederversammlung im selben Wochenblatt eine Woche früher, den wir hier auch wiedergeben.
Als Ausgangspunkt zur Einführung, ja Rechtfertigung der oben aufgestellten Aussage, dass der Weihnachtstagungsimpuls verduftet sei, wollen wir die Ausführungen des Topmanagers Hasler etwas näher betrachten, um zu zeigen, dass sie als besonders symptomatisch für diese Verduftung gelten können, und dass, so lange die in diesen und ähnlichen Ausführungen vertretenen Auffassungen über die sog. von Rudolf Steiner gewünschte Verschmelzung des Goetheanum Bauvereins mit der Anthroposophischen Gesellschaft nicht korrigiert werden, es auf keinerlei Weise gelingen wird, das Wesen Anthroposophia zurück auf die Erde zu rufen. Im Gegenteil, so lange diese Auffassungen in den führenden Köpfe am Goetheanum sitzen bleiben – und man kann ohne weiteres die Ausführungen Herrn Haslers als repräsentativ für die Auffassungen des gesamten Vorstandes am Goetheanum, mindestens in so weit er damit nach außen getreten ist, betrachten – so lange wird ja Anthroposophia in ihrem Zufluchtsort im Kosmos warten müssen und die Menschheit ihrer geistigen Hilfe in der seelischen Not entbehren müssen.
Fassen wir erst mal kurz zusammen, was in dem Anliegen und den Anträgen in diesem Heft weiter entwickelt und dargestellt wird, nämlich was denn die wahren Intentionen von Rudolf Steiner mit und nach der Weihnachtstagung 1923 waren, und dass, bis zum heutigen Tag, die Damen und Herren am Goetheanum der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen wollen, den Weg zur wirklichen Neugestaltung der Anthroposophischen Gesellschaft nicht gehen wollen oder können, und damit die Inkarnation des Geistigen, der Anthroposophia zum neuen Leben, der Form nach, verhindern oder sogar verunmöglichen. Wieso, wird man, vielleicht erstaunt, wenn nicht empört, fragen? Hören Sie doch wirklich mal auf!
Nun, am 13. Januar 1924 schrieb Rudolf Steiner im Nachrichtenblatt den viel zitierten ersten Satz über die Weihnachtstagung: „Der Anthroposophischen Gesellschaft eine Form zu geben, wie sie die anthroposophische Bewegung zu ihrer Pflege braucht, das war mit der eben beendeten Weihnachtstagung beabsichtigt.“ Unter anthroposophische Bewegung kann man hier das geistige Wesen Anthroposophia verstehen, wofür damals eine allgemein menschliche Gesellschaft als ein ihr geeigneter sozialer Organismus geschaffen wurde mit einer Konstitution, einer Form, die sowohl in den Statuten, dem Grundsteinspruch, in dem Menschheitsrepräsentanten, als auch später in der Architektur des 2. Goetheanumbaus zum Ausdruck kommt. Einzige Aufgabe des Vorstand war es, diese allumfassenden Freiheitsstatuten der „modernsten Gesellschaft, die es geben kann“ (so Rudolf Steiner) zu verwirklichen.
Während es also hier gerade zur dunklen Weihnachtszeit um die Inkarnation des Geistigen ging, die Wendung nach innen, handelte es sich beim Goetheanum Bauverein um die entgegengesetzte Richtung, nämlich um die Wendung nach aus­sen, die Transsubstantiation des Irdischen. Und wieder ist es nicht umsonst, worauf z. B. Sune Nordwall aus Schweden nicht nachlässt hinzuweisen, dass die ersten Pläne zur Neugründung dieses Goetheanum Bauvereins als eine wirtschaftliche Assoziation anthroposophischer Firmen und Betrieben (die Klinik war in diesem Sinne ja auch ein Betrieb) bei dessen 3. außerordentlicher Generalversammlung am 29. Juni 1924 um die Johannizeit stattfinden: „Die Umbildung ist in der Jahreszeit geschehen, wenn wir uns nach aussen, zur Sinnenwelt wenden und uns selber in dem Licht und in der Wärme, der wir dann begegnen, finden.“ (so schreiben Hakan Blomberg und Sune Nordwall in einem Artikel über die Umbildung der AAG, siehe <http://hem.passagen.se/ thebee/JulmoetetIdag/UmbildungAAG.htm>).
Bei der Konstitutionsfrage handelt es sich nun um die Frage, wie die „entsprechende Relation“ (Rudolf Steiner am 27. Dezember 1923) zwischen diesen beiden entgegengesetzten Aktivitäten der Anthroposophischen Gesellschaft und dem Verein Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft zu sehen und zu bilden ist. Im Wesen handelt es sich da um die Frage, wie das Verhältnis zwischen Spiritualität und Management zu gestalten ist, ein Verhältnis, das erkenntnistheoretisch ausgedrückt, das Verhältnis zwischen lebendigem Begriff und herabgelähmter Vorstellung, zwischen dem Ätherischen und dem Physischen ist. Und eben hier scheiden sich die Geister!
Während nun die Firma Hasler AG am Goetheanum und ihre Anhänger die auf Günther Wachsmuth fußende Verschmelzungstheorie vertreten, sagen die anderen, dass dies aus dem Wesen der Sache nie und nimmer die Intention von Rudolf Steiner gewesen sein kann, denn diese grundverschiedenen Ebenen können einfach nicht strukturell, sondern nur personell (in diesem Fall durch den Vorstand) verbunden werden. Eine Verschmelzung von beiden, so wie dies jetzt vom Goetheanum aus angestrebt und durchgedrückt wird, ist deswegen keine Verstärkung des Weihnachtstagungsimpuls, wie behauptet wird, sondern eine Persiflage, eine Verzerrung derselben, und stellt im Grunde nichts anders dar, als eine juristische Festlegung, die Kodifizierung eines fast 80-jährigen Missverständnisses und eine Missachtung der Intentionen Rudolf Steiners.
Um es deutlicher zu machen, was hier wirklich der Anthroposophischen Gesellschaft angetan war und wird, erlauben wir uns hier einen Vergleich zu ziehen mit dem leidvollen Schicksal Kasper Hausers. Wie bekannt sein dürfte, und vor kurzem im Deutschen Fernsehen (ZDF) wiederum gezeigt, wurde er kurz nach seiner Geburt im Jahre 1812 ausgetauscht gegen ein anderes Kind, lange Jahre daraufhin in einem Kerker eingeschlossen, so dass er sich nicht richtig inkarnieren konnte, um dann plötzlich als etwa 14-jähriger Jüngling aus dem Nichts in Nürnberg aufzutauchen. Als er sich trotzdem zu entwickeln begann, und es sogar so aussah, als würde er, inzwischen erkannt als Badischer Prinz, seine hohe spirituelle Mission, in Süd-Deutschland eine Republik des Geistes, ja eine moderen Mysterienstätte verwirklichen, wurde er ermordet. Die Parallele mag inzwischen deutlich geworden sein. Kurz nach der Neugeburt der Anthroposophischen Gesellschaft wurde sie verwechselt mit einer anderen, ähnlichen Gesellschaft; ihre eigene Formgestalt wurde ihr entzogen, wodurch sie sich nicht richtig auf Erde inkarnieren konnte und vielfach zu einem Zerrbild ihrer selbst wurde. Jetzt, da die Hintergründe zu dieser Verwechslung nach jahrelangen Forschungen von verschiedenen Seiten aufgedeckt worden sind und man endlich dazu übergehen könnte, ihr wieder zum Leben zu verhelfen, ihre ursprüngliche Leiblichkeit von den Fesseln des Verwaltungs- und Vereinsmäßigen zu befreien, greifen nun die Widermächte mit Bewusstseinstrübungen und Sachzwängen unter den Augen der nichts-vermutenden Mehrheit der vorstandstreuen Mitgliedern zu, und werden diejenigen, sogar Hochschulmitglieder, die ihre Stimme dagegen erheben (müssen) und aktiv Widerstand leisten, doch nur als „kleine, fundamentalistisch orientierten Gruppen, die besonders aktiv sind in bezug auf unbereinigte Fragen der Geschichte“ heruntergemacht. Denn genau dies ist der von Herrn Hasler benutze Ausdruck im genannten Wochenblatt-Artikel, um diejenigen, die nicht willens sind, Verrat am Werk und Wesen Rudolf Steiners zu pflegen, zu bagatellisieren, ja zu verunglimpfen. Denn was ist heute, da der Kommunismus abgewirtschaftet zu haben scheint schlimmer, als öffentlich als extrem aktiver Fundamentalist zur Schau gestellt zu werden!

Nun stehen wir unmittelbar vor dem dritten und letzten Akt, was ich vor etwa zwei Jahren als die Kardeiz Sage genannt und beschrieben habe. Deren erster Akte ging unter dem Titel „Zur Befreiung des gemischten Königs“ in Dornach eine Woche vor Ostern 2000 über die Bühne, und zwar mit einem Antrag an die dortige Generalversammlung, sie möge der Ernennung von Bodo von Plato und Sergej Prokofieff nur als Vorstandsmitglieder des Verwaltungsvereins Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft und nicht des Gestaltungsvereins Anthroposophische Gesellschaft zuzustimmen, etwas was kaum beachtet wurde, und wo ich sogar, ohne Begründung, der schwarzen Magie beschuldigt wurde, da ich angeblich mit dieser Akte „in die Freiheitssphäre des Vorstandes eingreifen würde.“
Der 2. Akt dieser Kardeiz Sage bestand aus der gründlichen Vorbereitung zur Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft durch ein Quorum von 10.000 Mitglieder, während unter dem Titel „Das Zurückrufen des im Kosmos fortflüchtigen Wesen Anthroposophia“ die Schlussakte dieser aus dem realen Leben gebildeten Sage erfolgen soll.
Doch ein ganz anderes Szenario spielt sich nun ab. Das Goetheanum, das auf dem historischen Bluthügel gebaut ist, wo im Jahre 1499 eine für die junge Schweizerische Eidgenossenschaft entscheidende Schlacht gegen die der Kirche von Rom verbündeten Habsburger gewonnen wurde, und wo in der Nähe der Arlesheimer Eremitage im 9. Jahrhundert, unter dem Stern von Munsalvaesche, durch das sogar der Heiligen Trinität abgezwungenen Gralskönigtum von Parzival und dessen individuellen Überwindung des Erblichkeitsprinzips ein neuer spiritueller Einschlag in die Menschheitsentwicklung auf Erde zustande kam, dieses Goetheanum scheint in eine Art Festung mit Kontrollsperren und Polizeischutz umgewandelt zu werden. Die Geschichte wiederholt sich ja, denn wenn das milde und sanfte Arlesheim schon lange Gralsgebiet war, war das viel härtere Dornach immer das Gebiet des König Arturs, wo bitter gekämpft, oder darauf vorbereitet wurde.
So war es auch, nach Werner Greub, am Pfingstsonntag, den 13. Mai 848 als Parzival in Dornachbrugg seinen jungen, zweiten Sohn Kardeiz, im Beisein von seiner Mutter Herzeloyde, seinem Onkel Kyot und Bruder Lohengrin und einem Ritterschar, zum König aufrief und ihm die Aufgabe anvertraute, die von ihm, Parzival, entfremdeten Königsreiche und Hauptstätte, wie Waleis, Norgals, Konvoleis, Kingrivals, Anschouwe zurück zu erobern, eine Aufgabe, wie nachzulesen ist im letzten Kapitel des Parzival, die der König Kardeiz, als er einmal aufgewachsen war, erfolgreich durchführte.
Nun, in der 1. Akte dieser modernen Kardeiz Sage wurde, stellvertretend vor Parzival, mittels eines Antrags, die Frage an die Anthroposophische Gesellschaft gestellt: „Was wirret Ihr?“, aber eine wirkliche Entwirrung fand nicht statt. Die in der Kardeiz Sage vorgesehenen gründlichen Vorbereitung der 2. Akte wurde fast ganz übergehen, und so stürmt nun die 3. Akte unvermittelt auf uns zu.
Nun, wer Wind sät, wird Sturm ernten, sagte Christian Rosenkreuz. In den nachfolgenden Seiten werden sie, verehrte Leser, ein Anliegen finden, um das kommende Unheil abzuwenden. Das Wort ist nun an Sie, die Mitglieder. Falls das Anliegen nicht ankommt, sind manche Alternativen zu den vom Vorstand und Hochschulkollegium vorgeschlagenen Statutenergänzungen entwickelt, die meines Erachtens mehr im Sinne Rudolf Steiner zu betrachten sein.
Diese 2. Nummer des Willehalm Institut Nachrichtenblatt schließt, wie gesagt, mit dem Artikel vom Verschmelzungstheoretiker Hans Hasler und dem Artikel vom „fundamentalistisch orientierten und besonders aktiven“ Verfasser dieser Zeilen. Dieser hat sich in der Tat während seines Aufenthaltes des letzten Monats im Keller des Dornacher Begegnungszentrums etwas extra Mühe gegeben, sich für Rudolf Steiner und die Anthroposophie einzusetzen. Ein Plakat über die vom Willehalm Institut organisierten Abendvorträge und Gesprächsrunden vom 26. bis 30. Dezember mit u.a. Rudolf Saacke im Haus Martin, Dorneckstrasse 31 (etwa 75 oberhalb vom Speisehaus) rundet dieses Heft ab. Diese Ausgabe wird auch auf der Website Schauplatz Goetheanum (www. anthroposophie-online.de) zu lesen sein. Ich wünsche Ihnen noch ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein produktives Neujahr.

Robert Jan Kelder

 

Nachträgliche Bemerkung: Gestern, am 23. Dezember, hat der Vorstand per Fax die meisten meiner Anliegen und Anträge abgelehnt. Amselben Tag ist vom Basler Anwalt Dr. B. Gelzer namens 8 Mitglieder (S. Nordwall, R.J. Kelder, R. Saacke, L. van Egeraat, M. Meeussen, U. Hölder, D.O. Böhm, I. Rossman) einen 7-seitigen Brief mit formellen und inhaltlichen Anträge an den Vorstand verfasst worden, mit Hilfe von R.J. Kelder und J.G. Morales, der auf der Website www. anthroposophie-online.de zu lesen sein wird, bzw. schon ist. (RJK)


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