Diese 2. Nummer des Willehalm Nachrichtenblattes ist dem Versuch der am 28.
und 29. Dezember am Goetheanum in Dornach stattfindenden, ersten außerordentlichen
Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft gewidmet, und enthält
alle von mir an diese Versammlung gestellte Anliegen und Anträge mit Begründungen,
die fristgemäss beim Dornacher Vorstandssekretariat im Goetheanum, kurz
vor 18.00 Uhr, am Freitag, dem 20. Dezember eingereicht wurden. Ferner ist hier
der im amtlichen Wochenblatt für das Birseck und Dorneck am 19. Dezember
erschienene Artikel „Spannende Generalversammlung am Goetheanum“ von Hans Hasler
zu lesen, dem ehemaligen Chef der 3. Unterabteilung des Vereins Allgemeine Anthroposophische
Gesellschaft, der Administration des Goetheanumbaus, der heute dort im Finanzwesen
tätig ist. Dieser Artikel war eine Art Erwiderung auf meinen Artikel über
die kommende Mitgliederversammlung im selben Wochenblatt eine Woche früher,
den wir hier auch wiedergeben.
Als Ausgangspunkt zur Einführung, ja Rechtfertigung der oben aufgestellten
Aussage, dass der Weihnachtstagungsimpuls verduftet sei, wollen wir die Ausführungen
des Topmanagers Hasler etwas näher betrachten, um zu zeigen, dass sie als
besonders symptomatisch für diese Verduftung gelten können, und dass,
so lange die in diesen und ähnlichen Ausführungen vertretenen Auffassungen
über die sog. von Rudolf Steiner gewünschte Verschmelzung des Goetheanum
Bauvereins mit der Anthroposophischen Gesellschaft nicht korrigiert werden,
es auf keinerlei Weise gelingen wird, das Wesen Anthroposophia zurück auf
die Erde zu rufen. Im Gegenteil, so lange diese Auffassungen in den führenden
Köpfe am Goetheanum sitzen bleiben – und man kann ohne weiteres die Ausführungen
Herrn Haslers als repräsentativ für die Auffassungen des gesamten
Vorstandes am Goetheanum, mindestens in so weit er damit nach außen getreten
ist, betrachten – so lange wird ja Anthroposophia in ihrem Zufluchtsort im Kosmos
warten müssen und die Menschheit ihrer geistigen Hilfe in der seelischen
Not entbehren müssen.
Fassen wir erst mal kurz zusammen, was in dem Anliegen und den Anträgen
in diesem Heft weiter entwickelt und dargestellt wird, nämlich was denn
die wahren Intentionen von Rudolf Steiner mit und nach der Weihnachtstagung
1923 waren, und dass, bis zum heutigen Tag, die Damen und Herren am Goetheanum
der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen wollen, den Weg zur wirklichen Neugestaltung
der Anthroposophischen Gesellschaft nicht gehen wollen oder können, und
damit die Inkarnation des Geistigen, der Anthroposophia zum neuen Leben, der
Form nach, verhindern oder sogar verunmöglichen. Wieso, wird man, vielleicht
erstaunt, wenn nicht empört, fragen? Hören Sie doch wirklich mal auf!
Nun, am 13. Januar 1924 schrieb Rudolf Steiner im Nachrichtenblatt den viel
zitierten ersten Satz über die Weihnachtstagung: „Der Anthroposophischen
Gesellschaft eine Form zu geben, wie sie die anthroposophische Bewegung zu ihrer
Pflege braucht, das war mit der eben beendeten Weihnachtstagung beabsichtigt.“
Unter anthroposophische Bewegung kann man hier das geistige Wesen Anthroposophia
verstehen, wofür damals eine allgemein menschliche Gesellschaft als ein
ihr geeigneter sozialer Organismus geschaffen wurde mit einer Konstitution,
einer Form, die sowohl in den Statuten, dem Grundsteinspruch, in dem Menschheitsrepräsentanten,
als auch später in der Architektur des 2. Goetheanumbaus zum Ausdruck kommt.
Einzige Aufgabe des Vorstand war es, diese allumfassenden Freiheitsstatuten
der „modernsten Gesellschaft, die es geben kann“ (so Rudolf Steiner) zu verwirklichen.
Während es also hier gerade zur dunklen Weihnachtszeit um die Inkarnation
des Geistigen ging, die Wendung nach innen, handelte es sich beim Goetheanum
Bauverein um die entgegengesetzte Richtung, nämlich um die Wendung nach
aussen, die Transsubstantiation des Irdischen. Und wieder ist es nicht
umsonst, worauf z. B. Sune Nordwall aus Schweden nicht nachlässt hinzuweisen,
dass die ersten Pläne zur Neugründung dieses Goetheanum Bauvereins
als eine wirtschaftliche Assoziation anthroposophischer Firmen und Betrieben
(die Klinik war in diesem Sinne ja auch ein Betrieb) bei dessen 3. außerordentlicher
Generalversammlung am 29. Juni 1924 um die Johannizeit stattfinden: „Die Umbildung
ist in der Jahreszeit geschehen, wenn wir uns nach aussen, zur Sinnenwelt wenden
und uns selber in dem Licht und in der Wärme, der wir dann begegnen, finden.“
(so schreiben Hakan Blomberg und Sune Nordwall in einem Artikel über die
Umbildung der AAG, siehe <http://hem.passagen.se/ thebee/JulmoetetIdag/UmbildungAAG.htm>).
Bei der Konstitutionsfrage handelt es sich nun um die Frage, wie die „entsprechende
Relation“ (Rudolf Steiner am 27. Dezember 1923) zwischen diesen beiden entgegengesetzten
Aktivitäten der Anthroposophischen Gesellschaft und dem Verein Allgemeine
Anthroposophische Gesellschaft zu sehen und zu bilden ist. Im Wesen handelt
es sich da um die Frage, wie das Verhältnis zwischen Spiritualität
und Management zu gestalten ist, ein Verhältnis, das erkenntnistheoretisch
ausgedrückt, das Verhältnis zwischen lebendigem Begriff und herabgelähmter
Vorstellung, zwischen dem Ätherischen und dem Physischen ist. Und eben
hier scheiden sich die Geister!
Während nun die Firma Hasler AG am Goetheanum und ihre Anhänger die
auf Günther Wachsmuth fußende Verschmelzungstheorie vertreten, sagen
die anderen, dass dies aus dem Wesen der Sache nie und nimmer die Intention
von Rudolf Steiner gewesen sein kann, denn diese grundverschiedenen Ebenen können
einfach nicht strukturell, sondern nur personell (in diesem Fall durch den Vorstand)
verbunden werden. Eine Verschmelzung von beiden, so wie dies jetzt vom Goetheanum
aus angestrebt und durchgedrückt wird, ist deswegen keine Verstärkung
des Weihnachtstagungsimpuls, wie behauptet wird, sondern eine Persiflage, eine
Verzerrung derselben, und stellt im Grunde nichts anders dar, als eine juristische
Festlegung, die Kodifizierung eines fast 80-jährigen Missverständnisses
und eine Missachtung der Intentionen Rudolf Steiners.
Um es deutlicher zu machen, was hier wirklich der Anthroposophischen Gesellschaft
angetan war und wird, erlauben wir uns hier einen Vergleich zu ziehen mit dem
leidvollen Schicksal Kasper Hausers. Wie bekannt sein dürfte, und vor kurzem
im Deutschen Fernsehen (ZDF) wiederum gezeigt, wurde er kurz nach seiner Geburt
im Jahre 1812 ausgetauscht gegen ein anderes Kind, lange Jahre daraufhin in
einem Kerker eingeschlossen, so dass er sich nicht richtig inkarnieren konnte,
um dann plötzlich als etwa 14-jähriger Jüngling aus dem Nichts
in Nürnberg aufzutauchen. Als er sich trotzdem zu entwickeln begann, und
es sogar so aussah, als würde er, inzwischen erkannt als Badischer Prinz,
seine hohe spirituelle Mission, in Süd-Deutschland eine Republik des Geistes,
ja eine moderen Mysterienstätte verwirklichen, wurde er ermordet. Die Parallele
mag inzwischen deutlich geworden sein. Kurz nach der Neugeburt der Anthroposophischen
Gesellschaft wurde sie verwechselt mit einer anderen, ähnlichen Gesellschaft;
ihre eigene Formgestalt wurde ihr entzogen, wodurch sie sich nicht richtig auf
Erde inkarnieren konnte und vielfach zu einem Zerrbild ihrer selbst wurde. Jetzt,
da die Hintergründe zu dieser Verwechslung nach jahrelangen Forschungen
von verschiedenen Seiten aufgedeckt worden sind und man endlich dazu übergehen
könnte, ihr wieder zum Leben zu verhelfen, ihre ursprüngliche Leiblichkeit
von den Fesseln des Verwaltungs- und Vereinsmäßigen zu befreien,
greifen nun die Widermächte mit Bewusstseinstrübungen und Sachzwängen
unter den Augen der nichts-vermutenden Mehrheit der vorstandstreuen Mitgliedern
zu, und werden diejenigen, sogar Hochschulmitglieder, die ihre Stimme dagegen
erheben (müssen) und aktiv Widerstand leisten, doch nur als „kleine, fundamentalistisch
orientierten Gruppen, die besonders aktiv sind in bezug auf unbereinigte Fragen
der Geschichte“ heruntergemacht. Denn genau dies ist der von Herrn Hasler benutze
Ausdruck im genannten Wochenblatt-Artikel, um diejenigen, die nicht willens
sind, Verrat am Werk und Wesen Rudolf Steiners zu pflegen, zu bagatellisieren,
ja zu verunglimpfen. Denn was ist heute, da der Kommunismus abgewirtschaftet
zu haben scheint schlimmer, als öffentlich als extrem aktiver Fundamentalist
zur Schau gestellt zu werden!
Nun stehen wir unmittelbar vor dem dritten und letzten Akt, was ich vor etwa
zwei Jahren als die Kardeiz Sage genannt und beschrieben habe. Deren erster
Akte ging unter dem Titel „Zur Befreiung des gemischten Königs“ in Dornach
eine Woche vor Ostern 2000 über die Bühne, und zwar mit einem Antrag
an die dortige Generalversammlung, sie möge der Ernennung von Bodo von
Plato und Sergej Prokofieff nur als Vorstandsmitglieder des Verwaltungsvereins
Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft und nicht des Gestaltungsvereins Anthroposophische
Gesellschaft zuzustimmen, etwas was kaum beachtet wurde, und wo ich sogar, ohne
Begründung, der schwarzen Magie beschuldigt wurde, da ich angeblich mit
dieser Akte „in die Freiheitssphäre des Vorstandes eingreifen würde.“
Der 2. Akt dieser Kardeiz Sage bestand aus der gründlichen Vorbereitung
zur Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft durch ein Quorum
von 10.000 Mitglieder, während unter dem Titel „Das Zurückrufen des
im Kosmos fortflüchtigen Wesen Anthroposophia“ die Schlussakte dieser aus
dem realen Leben gebildeten Sage erfolgen soll.
Doch ein ganz anderes Szenario spielt sich nun ab. Das Goetheanum, das auf dem
historischen Bluthügel gebaut ist, wo im Jahre 1499 eine für die junge
Schweizerische Eidgenossenschaft entscheidende Schlacht gegen die der Kirche
von Rom verbündeten Habsburger gewonnen wurde, und wo in der Nähe
der Arlesheimer Eremitage im 9. Jahrhundert, unter dem Stern von Munsalvaesche,
durch das sogar der Heiligen Trinität abgezwungenen Gralskönigtum
von Parzival und dessen individuellen Überwindung des Erblichkeitsprinzips
ein neuer spiritueller Einschlag in die Menschheitsentwicklung auf Erde zustande
kam, dieses Goetheanum scheint in eine Art Festung mit Kontrollsperren und Polizeischutz
umgewandelt zu werden. Die Geschichte wiederholt sich ja, denn wenn das milde
und sanfte Arlesheim schon lange Gralsgebiet war, war das viel härtere
Dornach immer das Gebiet des König Arturs, wo bitter gekämpft, oder
darauf vorbereitet wurde.
So war es auch, nach Werner Greub, am Pfingstsonntag, den 13. Mai 848 als Parzival
in Dornachbrugg seinen jungen, zweiten Sohn Kardeiz, im Beisein von seiner Mutter
Herzeloyde, seinem Onkel Kyot und Bruder Lohengrin und einem Ritterschar, zum
König aufrief und ihm die Aufgabe anvertraute, die von ihm, Parzival, entfremdeten
Königsreiche und Hauptstätte, wie Waleis, Norgals, Konvoleis, Kingrivals,
Anschouwe zurück zu erobern, eine Aufgabe, wie nachzulesen ist im letzten
Kapitel des Parzival, die der König Kardeiz, als er einmal aufgewachsen
war, erfolgreich durchführte.
Nun, in der 1. Akte dieser modernen Kardeiz Sage wurde, stellvertretend vor
Parzival, mittels eines Antrags, die Frage an die Anthroposophische Gesellschaft
gestellt: „Was wirret Ihr?“, aber eine wirkliche Entwirrung fand nicht statt.
Die in der Kardeiz Sage vorgesehenen gründlichen Vorbereitung der 2. Akte
wurde fast ganz übergehen, und so stürmt nun die 3. Akte unvermittelt
auf uns zu.
Nun, wer Wind sät, wird Sturm ernten, sagte Christian Rosenkreuz. In den
nachfolgenden Seiten werden sie, verehrte Leser, ein Anliegen finden, um das
kommende Unheil abzuwenden. Das Wort ist nun an Sie, die Mitglieder. Falls das
Anliegen nicht ankommt, sind manche Alternativen zu den vom Vorstand und Hochschulkollegium
vorgeschlagenen Statutenergänzungen entwickelt, die meines Erachtens mehr
im Sinne Rudolf Steiner zu betrachten sein.
Diese 2. Nummer des Willehalm Institut Nachrichtenblatt schließt, wie
gesagt, mit dem Artikel vom Verschmelzungstheoretiker Hans Hasler und dem Artikel
vom „fundamentalistisch orientierten und besonders aktiven“ Verfasser dieser
Zeilen. Dieser hat sich in der Tat während seines Aufenthaltes des letzten
Monats im Keller des Dornacher Begegnungszentrums etwas extra Mühe gegeben,
sich für Rudolf Steiner und die Anthroposophie einzusetzen. Ein Plakat
über die vom Willehalm Institut organisierten Abendvorträge und Gesprächsrunden
vom 26. bis 30. Dezember mit u.a. Rudolf Saacke im Haus Martin, Dorneckstrasse
31 (etwa 75 oberhalb vom Speisehaus) rundet dieses Heft ab. Diese Ausgabe wird
auch auf der Website Schauplatz Goetheanum (www. anthroposophie-online.de) zu
lesen sein. Ich wünsche Ihnen noch ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein
produktives Neujahr.
Robert Jan Kelder
Nachträgliche Bemerkung: Gestern, am 23. Dezember, hat der Vorstand per Fax die meisten meiner Anliegen und Anträge abgelehnt. Amselben Tag ist vom Basler Anwalt Dr. B. Gelzer namens 8 Mitglieder (S. Nordwall, R.J. Kelder, R. Saacke, L. van Egeraat, M. Meeussen, U. Hölder, D.O. Böhm, I. Rossman) einen 7-seitigen Brief mit formellen und inhaltlichen Anträge an den Vorstand verfasst worden, mit Hilfe von R.J. Kelder und J.G. Morales, der auf der Website www. anthroposophie-online.de zu lesen sein wird, bzw. schon ist. (RJK)