Die Konstitutions- oder Statutenfrage ist vor allem eine Vorstandsfrage. Dies
gilt im Prinzip allen Gesellschaften oder Vereinigungen von Menschen, die einen
geistigen Impuls verwirklichen wollen, aber umsomehr der anthroposophischen,
die „die modernste Gesellschaft sein soll, die es geben kann“. Darum sagte auch
Rudolf Steiner, es sei hier wiederholt, während der Statutendebatte an
der Weihnachtstagung am 27. Dezember 1923: „Der Zentralvorstand wird als seine
Aufgabe lediglich die Realisierung der Statuten zu betrachten haben; er wird
alles zu tun haben, was in der Richtung der Realisierung der Statuten liegt.
Und damit ist eine große Freiheit gegeben. Aber zugleich weiß man
auch, was man an diesem Zentralvorstand hat, denn man hat die Statuten und kann
aus ihnen ein vollständiges Bild gewinnen von dem was er jemals tun wird.
Dadurch ist auch die Möglichkeit geschaffen, überall auf realem Boden
zu stehen, wo solche Vereinigungen entstehen, wie zum Beispiel der Goetheanum-Bauverein.
Und es wird in den nächsten Tagen die Aufgabe sein, zwischen dem Vorstand,
der sich gebildet hat, und dem Goetheanum Bauverein die entsprechende Relation
zu bilden.“ Daraus ersieht man schon, dass die Anthroposophische Gesellschaft,
im Gegensatz zur Freien Hochschule, nicht in erster Linie auf die Person und
Leitung von Rudolf Steiner aufgebaut ist, wie manchmal behauptet wird, sondern
auf die allumfassenden Freiheitsstatuten, die es zu verwirklichen gilt. Dass
die Gesellschaft ohne Rudolf Steiner natürlich, wie er auch sagte „eine
ganz andere wäre“ bedeutet nicht, dass die Statuten ihre Aktualität
verloren haben, aber dass deren begriffliche Durchdringung und Verwirklichung
durch die moralische Intuition, Fantasie und Technik ohne die physische Anwesenheit
und unmittelbare Mitwirkung Rudolf Steiners umso schwerer ist. Aber: „Man hat
die Statuten und kann aus Ihnen ein vollständiges Bild gewinnen von dem
was er jemals tun wird.“ In diesem Sinne bedürfen also die Statuten als
solche keine Ergänzung oder Explizierung um die Handlungsfähigkeit
des Vorstands zu ermöglichen, dies trotzdem tun zu wollen, ohne weiteres
durchzusetzen und sogar zuzustimmen wäre ein Unding. Im Gegenteil, worum
es sich bei der Statutenfrage wirklich handelt, ist die Frage, wie die Bildung
der „entsprechenden Relation,“ von dem Rudolf Steiner sprach, zwischen dem Vorstand
und „andere Vereinigungen, die zur Förderung der anthroposophischen Sache
bestehen“, und was er später „die einheitliche Konstituierung“ genannt
hat, damals erreicht bzw. angestrebt wurde und wie sie heute zu gestalten ist.
Es geht hierbei nicht, wie auch manchmal behauptet wird, um die Verwirklichung
des Grundprinzips der Weihnachtstagung: die Verbindung des Esoterischen mit
dem Exoterischen, denn diese Verbindung liegt in der Verwirklichung der dafür
völlig ausreichenden Statuten. Vielmehr geht es hier um die überall
in der Welt ungelöste, ja völlig aus dem Gleichgewicht gefallene Beziehung
zwischen Spiritualität und Management, oder etwas anders gesehen, zwischen
Inkarnation des Geistigen (z.B. Anthroposophische Gesellschaft der Weihnachtstagung)
and Transsubstantation des Irdischen (z.B. Goetheanum Bauverein). Beide sozialgestalterische
Aufgaben sind nur zu lösen durch eine neue soziale oder königliche
Kunst, die man auch die Sozialorganik (Herbert Witzenmann) nennen kann.
Zum Selbstbild des Vorstands und dessen Verbundenheit mit den Statuten sagte
Rudolf Steiner des weiteren bei der Besprechung des 7. Statuts: „Den Vorstand
werden wir noch nominieren in einem letzten Paragraphen. Aber diesen Vorstand,
den betrachte ich so, dass er mit der ganzen Konstitution des Statuts absolut
verbunden ist.“ Dass unmittelbar nach der Weihnachtstagung nur die 14 Statuten
und noch nicht das 15. Statut im Nachrichtenblatt veröffentlicht wurden,
hat damit zu tun, dass dieses letzte Statut erst bewusstseinsmäßig
in Kraft treten konnte, nachdem alle Mitglieder sich über das ganze Geschehen
der Weihnachtstagung haben orientieren können um so noch im Nachhinein
der Bildung und, formell gesehen, Wahl des Vorstands zuzustimmen.
Schließlich noch ein letzter Hinweis von Rudolf Steiner aus seinen Begrüßungsworten
vom 7. Juni 1924 in Breslau: „Dieser anthroposophisch-esoterische Vorstand will
kein Verwaltungsvorstand sein, er will ein Initiativvorstand sein, der die Anregung
gibt in dem, was als wesen durch die Anthroposophische Gesellschaft fließen
soll.“ Es ist hier und schon früher deutlich dargestellt worden, dass niemand
in den Schuhen Rudolf Steiners stehen kann und darf; vor allem gilt das der
Einrichtung und Leitung der Freien Hochschule, die nur von ihm ausgehen konnte.
Und da er keinen Nachfolger ernannt hat, muss der Einklang mit der Goetheanum-Leitung,
wozu sich die Hochschulmitglieder verpflichtet haben, heute eben nur mit ihm
bzw. seinem Werk gesucht werden, und muss der heutige Vorstand in alle seine
Handlungen, von denen behauptet wird, dass sie die Weihnachtstagungsimpuls bekräftigen,
so weit wie nur möglich deutlich zeigen, inwiefern diese Handlungen im
Einklang zu betrachten sind mit der wirklichen, spirituellen Leitung der Hochschule,
nämlich Rudolf Steiner. Umgekehrt bedeutet dies, dass wenn man als Hochschulmitglied
zur festen Überzeugung gekommen ist, dass Handlungen des heutigen Vorstands
nicht in Einklang mit der Leitung, also mit Rudolf Steiner, zu betrachten sind,
man dann nicht anderes kann als auf diesen Missklang, oder „innere Opposition“
aufmerksam zu machen und nach Vermögen dem etwas Besseres entgegen zu stellen,
von dem man natürlich gleichfalls begründen muss, dass man damit in
diesem Einklangverhältnis stehe.
Nun, aus dieser positiven Gesinnung heraus sah sich der Antragsteller im Jahre
1984 aufgerufen einen Antrag an die Generalversammlung der AAG zu stellen der
Ernennung von Manfred Schmidt-Brabant nicht zuzustimmen. Der erste Teil dieses
leider massiv abgelehnten Antrages entwirft ein Idealbild eines Ersten Vorsitzenden
(was auch dem Vorstand als solche gilt), während der zweite Teil zu zeigen
versucht, dass der Kandidat „auf Grund einer fast zehnjährigen Entwicklung
innerhalb des amtierenden Vorstandes“ diesem Bild nicht genügend entspricht
und deswegen nicht gewählt werden sollte und jemand anders, der vielmehr
diesem Idealbild entspricht, nämlich Herbert Witzenmann, gefragt werden
soll. Da der erste Teil auch heute noch aktuell ist, wird er hier wiedergegeben:
„Durch die Übernahme des Amtes des Ersten Vorsitzenden hat Rudolf Steiner
während der Weihnachtstagung von 1923/24 durch sein Wesen, Werk und Wirken
die anthroposophische Bewegung mit der Anthroposophischen Gesellschaft urbildlich
vereinigt und hat, um die spirituelle Kontinuität dieser Vereinigung zu
gewährleisten, sein eigenes Leben mit dem Leben der Anthroposophischen
Gesellschaft unauflöslich verbunden. Doch ohne einen fortdauernde, dem
Zeitgeist entspringenden und entsprechenden Strom individuell hervorgebrachter
und allgemein anerkannter Ideen verhungert, ja vergeht eine kulturelle Gesellschaft.
Denn im sozialen Organismus sind Ideen Nahrung für das Geistesleben. Und
darum sprach Rudolf Steiner seit der Weihnachtstagung vom Initiativvorstand
und darum sollte derjenige seiner Schüler, der berufen wird, das Amt des
Ersten Vorsitzenden im Initiativvorstand zu bekleiden, bezeugt haben, dass er
die erforderliche schöpferische Geistigkeit innehat, um die Vereinigung
anthroposophischer Bewegung und Anthroposophischer Gesellschaft im Blick auf
Rudolf Steiner zu gewährleisten. Für diese verantwortungsvolle Stellung
sollte also derjenige Mensche vorgeschlagen werden, der durch treue Verbundenheit
mit der Anthroposophischen Gesellschaft und konsequentes Bemühen um die
Realisierung der ‚Prinzipien’ [Statuten] der Weihnachtstagung, durch selbstständige
Vertiefung und schöpferische Verbreitung des Werkes Rudolf Steiners, sowie
die durch klärende Beratungsfähigkeit und durchgreifende Initiativentfaltung
sich als die rechte Persönlichkeit für dieses hohe Amt ausgezeichnet
hat. Dabei spielt natürlich das Bemühen der Mitgliedschaft, Leistungen
des schöpferischen Geistes auch aktiv entgegenzunehmen und zu pflegen,
eine wesentliche Rolle.“
Zuletzt noch ein Wort zur oben gestellten Frage, ob die durch Rudolf Steiner
gebildete Vereinigung der anthroposophischen Bewegung und Anthroposophischen
Gesellschaft, angesichts alles „Schreckliches“ was sich doch in dieser Gesellschaft,
bis auf das höchste Niveau, abgespielt habe, noch heute bestehen kann.
Dabei ist etwas zu berücksichtigen, was noch viel zu wenig beachtet wird,
nämlich, dass die Anthroposophische Gesellschaft eigentlich nicht ohne
weiteres etwas ist, sondern, dass sie etwas sein soll, nämlich „eine Vereinigung
von Menschen, die das Seelenleben im Einzelnen und in der menschlichen Gesellschaft
pflegen wollen auf der Grundlage einer wahren Erkenntnis der geistigen Welt.“
In diesem nach der Dreigliederung von Leib, Seele und Geist gebildeten Statut
kann man das Bild der Bewusstseinseele erkennen, die vom Wahren und Guten des
Geistselbst berührt wird. Und nur insofern dieses ersten idealistischen
Statuts und die weiteren Statuten wirklich mit realem Leben in dieser Gesellschaft
erfüllt werden, ja nur dann befindet sich diese Vereinigung von Menschen
im Zustand der anthroposophischen Gesellschaft. Alles was abgleitet im Bereich
der Politik, Dogmatik, und Sektiererei, alles was aus dem Bereich der doppelten
Mitte in das Bereich des Ahrimanischen und Luziferischen abweicht, hebt im Hinblick
auf die ideellen Rahmenbedingungen der Statuten diesen Bewusstseinszustand als
Seinszustand der Anthroposophischen Gesellschaft auf. In diesem Sinne darf man
also doch sagen, dass überall auf der Erde, wo diesen Zustand der anthroposophischen
Gesellschaft seelisch-geistig hergestellt wird, Rudolf Steiner als Repräsentant
der anthroposophischen Bewegung damit karmisch verbunden ist und bleibt.
Aus diesem Streben dieser Verbundenheit treu zu bleiben, ja zu schützen, und aus der Erkenntnis, dass die Konstitutionsfrage eine eminente Vorstandsfrage ist und, dass folglich diejenigen, die hervortreten mit Initiativen zur Neugestaltung der allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft eigentlich als solche eine verantwortungsvolle Vorstandsfunktion ausüben wollen, habe ich mich nun erlaubt folgenden Antrag zu stellen.
Es mögen die Mitglieder einsehen, dass die kollektive Wahl des Vorstandes als Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft nicht der richtige Weg zum Ziel ist, sondern dahin führen wird – wogegen Rudolf Steiner immer so ausdrücklich gewarnt hat –, dass nämlich sein Werk immer mehr von seinem Namen getrennt wird. Um dies zu verhindern und zu versuchen, Wesen und Erscheinungsform der Anthroposophischen Gesellschaft einander näher zu bringen, möge man nun dieser Wahl nicht zustimmen und stattdessen das Folgende annehmen:
Es wird beantragt: 2. Die Mitgliederversammlung wird gebeten, die Vorstandsmitglieder der AAG als Gleichberechtigte zusammen mit folgenden Mitgliedern zu einer kommissarischen Konstitutionsgruppe zu berufen. Aufgabe dieser Arbeitsgruppe wäre es, die Neugestaltung, bzw. Neugründung der Anthroposophischen Gesellschaft der Weihnachts-Tagung 1923 wiederum auf den richtigen Weg zu bringen und zwar in einer, wie es bei der letzten, dritten Konstitutionsgruppe hieß, offenen, umfassenden, voraussetzungslosen und konsensfähigen Art und Weise, womöglich im dafür geöffneten Rahmen der sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum, wo vor kurzem das erste Mal überhaupt die Konstitutions-Frage in einer durchaus fruchtbaren Weise behandelt wurde. Ferner soll diese Gruppe, nach dem von Rudolf Steiner für diesen Zweck vorgeschlagenen republikanischen Prinzip, aus oder außerhalb ihrer Mitte, Vorschläge machen für die endgültige Besetzung des Vorstands und dessen Relation zum Verein Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft und ähnliche die anthroposophische Sache fördernden Institutionen und Vereine. Mitglieder die eine solche Gruppe vorgeschlagen haben sind: Leo van Egeraat, der eine Neubildung einer nicht vom bisherigen Vorstand ausgehenden Konstitutionsgruppe beantragt hat; Günther Röschert, Gerhard von Beckerath, Ernst Martin Kraus, Bärbel Pokryzywnicki, die u.a. einen Geschäftsordnungsantrag zur Einberufung eines breit besetzten Verfassungskonvent eingereicht haben; Detlef Oluf Böhm und Ulrich Hölder, die ebenfalls einen Art Interim-Vorstand vorgeschlagen haben; Rolf Saacke, der beantragt hat, eine Kommission zu wählen, die die Modalitäten der „Neuergreifung der Anthroposophischen Gesellschaft“ gemäss den Intentionen der damaligen Begründung auf der Weihnachtstagung von 1923 erarbeiten soll und der Antragsteller selber, der seit 1984 immer wieder versucht hat, auf die Bedeutung der Statuten zu verweisen und in deren Sinne in der Welt und Gesellschaft zu wirken. Andere Mitglieder mit weiteren Gestaltungsinitiativen sind Sebastian Boegner, der wertvolle Ergänzungen bzw. Korrekturen zu den Vorschlägen des Vorstands gemacht hat; Andreas Wilke vom Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft Christian Rosenkreutz Zweig, der sich bemüht, eine auch rechtlich saubere Unterscheidung zu handhaben zwischen Allgemeiner Anthroposophischer Gesellschaft und Anthroposophischer Gesellschaft und Sune Nordwall, der sich schon 30 Jahre aktiv mit diesem Thema befasst hat; ferner mag es weitere in Erscheinung getretene verantwortungsvolle Mitglieder oder Mitgliedergruppen geben mit ähnlichen Initiativen, die eventuell auch in dieser Gruppe miteinbezogen werden können. Dabei soll der heutige Vorstand, zunächst ruhig Vorstand des Vereins Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft bleiben, und als Leiter der 1. Unterabteilung der AAG, nämlich der Administration der Anthroposophischen Gesellschaft, die benötigten Verwaltungsaufgaben für diese Gruppe übernehmen. Dieser gibt sich selbst eine Geschäftsordnung, berichtet laufend über seine Ergebnisse, wobei er durchaus anknüpfen kann am erreichten Stand der letzten Konstitutionsgruppe, und er beruft an Weihnachten 2003 eine ordentliche Jahresversammlung ein, wo er die Früchte seiner Arbeit der Mitgliedschaft, eventuell schon zur Abstimmung, vorlegt. Dieser derart zusammengestellte Gruppe stellt nun, eventuell nach einer kurzen Beratungspause, der Versammlung nun erstens eine ihm geeignete Person als Gesprächsleiter vor, zweitens eine neue Tagesordnung, wobei alle Beschlussvorlagen in Besprechungsvorlagen umgewandelt werden sollen, wobei womöglich in der noch zur Verfügung stehenden Zeit alle dazu gestellten Anträge zu Wort kommen sollen, und drittens einen Sekretär und/oder Schriftführer, der im Nachrichtenblatt Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht über diese Versammlung usw. berichterstattet, bzw. das Protokoll verfasst.