Es wird beantragt: Die Beschlussvorlage zur Beschlussfassung als solche
wird abgelehnt. Stattdessen gilt in der Mitgliederversammlung folgendes Vorgehen:
1.Absolutes Mehr: Ein Beschluss kommt im Prinzip zustande, wenn er mit Mehrheit
der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst wird. Das bedingt, dass der Anzahl
der Mitglieder festgestellt werden muss, und dass die Stimmenthaltungen als
Neinstimmen mitgezählt werden.
2. Bei den Beschlüsse über Statutenergänzungen aber, entscheidet
nicht ein einfaches oder ein absolutes Mehr, sondern ein qualitatives Mehr von
zwei drittel der Stimmen.
3. Alle Stimmen werden bei allen inhaltlichen Beschlüssen ausgezählt.
4. Um eine Impasse zu verhindern, kann bei Verfahrensfragen ein relatives Mehr
die nötige Entscheidung herbeiführen.
Begründung: Die Anthroposophischen Gesellschaft ist nach dem Schweizerischen
Recht ein Idealverein. Da in ihrer Statuten keine Vorschriften über das
Abstimmungsverfahren aufgestellt sind, gelten nach Artikel 63, Absatz 1 die
Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB). Somit findet zunächst
Absatz 2 vom Artikel 67 hier Anwendung, nämlich „“ Die Vereinsbeschlüsse
werden mit Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst.“ Im Kommentar
des Schweizerischen Zivilgesetzbuch heißt es: „Art. 67 Abs. 2 verlangt
beim Fehlen einer statutarischen Regelung das Mehr der anwesenden Mitglieder,
so dass Stimmenthaltungen als Neinstimmen zu zählen sind.“ Eine Stimmenthaltung
bedeutet, dass man in Bezug auf den jeweiligen Traktandenpunkt sich (noch) nicht
als kompetent oder urteilsfähig betrachtet und nicht bereit ist auf Grund
eines bloßen oder sogar blindes Vertrauen, gegebenenfalls Misstrauen ja
oder nein zu stimmen. Auch könnte es sein, dass zur Meinungsbildung in
der Vorabstimmung ungenügend Zeit vorhanden gewesen ist. Der Stimmvorgang
hat auf jeden Fall karmische Folgen, die man nicht entgehen kann. Dabei gilt
es jedes Mal zu entscheiden, ob man die Mitverantwortung übernehmen will
für die jeweiligen Beschlüsse, die als Handlungen namens der Anthroposophischen
Gesellschaft in die Welt hineingestellt werden und auf diese ein- und wiederum
zurückwirken. Seine Stimme enthalten ist eine neutrale Bewusstseinshaltung,
eine Art karmische Selbstschutzmassnahme, die es zu unterscheiden gilt von der
Stimmweigerung, vom Überhaupt-Nicht-Stimmen, und die deswegen, nicht nur
formell gesehen, auch registriert und gezählt werden soll.
Die Begründung bei der Beschlussvorlage vom Vorstand, dass in der Generalversammlung
der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft am 23. März 2002 das einfache
Mehr beschlossen ist, gilt nicht für diese Versammlung, da diese eine solche
der Anthroposophischen Gesellschaft ist. Wenn mehrere Kandidaten (oder Gruppen
von Kandidaten) für die gleiche Funktion zur Wahl stehen, muss deswegen
über sie separat abgestimmt werden. Nur wenn die jeweilige Beschlussvorlage
eine Mehrheit von Stimmen bekommt, gilt sie als angenommen.
Ein zwei drittel Mehr bei solchen wichtigen Angelegenheiten wie Statutenergänzungen
ist das übliche Verfahren in allen, vor allem spirituellen Gesellschaften.
Warum soll die Anthroposophische Gesellschaft hier eine Ausnahme bilden?
Die Entscheidung, ob die Mehrheitsverhältnisse bei inhaltlichen Beschlüsse
eindeutig sind oder nicht, soll nicht durch die Versammlungsleitung entschieden
werden, vor allem nicht in Grenzfälle. Außerdem ist das Verhältnis
von Ja- und Neinstimmen in dieser als außerordentliche Jahresversammlung
der Anthroposophischen Gesellschaft einberufenen Mitgliederversammlung ein wichtiges
Barometer für die Stimmungslage und Willensbildung in der Versammlung,
welches auch für nicht-anwesend sein könnende Mitglieder und darüber
hinaus auch für die Geschichtsschreibung der Gesellschaft nicht uninteressant
ist. Dass durch das Stimmenzahlen die Versammlung etwas verzögert wird,
muss einfach in Kauf genommen werden und hätte man eigentlich vorher einkalkulieren
sollen bei der zeitlichen Rahmensetzung dieser Versammlung.
Auf jeden Fall muss bei dieser ersten Beschlussvorlage über die Beschlussfassung
nach den Bestimmungen des ZGB abgestimmt werden. Wenn nicht kann sie auch aus
diesem Grund angefochten werden.
Diese im allgemeinen etwas strengere Vorgehensweise passt bei einer spirituellen
Gesellschaft wie der unseren, da diese Methode mehr nach dem Konsens und damit
dem gemeinsamen Bewusstsein tendiert als das einfache oder relative Mehr, das
mehr dem Pluralismus der Fraktionen entspricht.